
Sie sagen, wir müssen alle unseren kleinen Beitrag leisten, aber 100 km/h fahren will ich auch nicht.
Wenn so viele Dinge so lange versäumt wurden, reicht ein kleiner Beitrag nicht mehr. Ja, der Alltag ist stressig. Aber jede entscheidet sich, ob sie sich stressen lässt oder nicht. Vielleicht sollten wir Einspruch erheben, wenn von uns verlangt wird, innerhalb einer Stunde von einem Ort zum anderen zu kommen, nicht nur, wenn uns unsere Heizkostenabrechnung nicht gefällt. Handlungen haben Konsequenzen.
Sie sagen, man muss auch mal ruhig bleiben, es kann ja nicht jeder die Welt retten.
Wenn alle aufhören würden, die Welt zu zerstören, müsste sie von niemandem gerettet werden.
Schon wieder ein Streit mit Kolleginnen im Pädagog*innenzimmer. Die stolz über ihre Blitzerfotos berichten. Die auf die Deutsche Bahn schimpfen, weil sie ja immer zu spät ist. Die nicht auf rationale Argumente (das ist statistisch höchst unwahrscheinlich, man merkt sich eher Erlebnisse, die die eigene Theorie stärken, ladida ladida) hören.
Ich rege mich auf. Ich weiß, ich habe kein Recht, sie zu unterrichten. Sie sind erwachsen und sollten wissen, was sie tun. (Wissen sie es wirklich? Auch Erwachsene können dazu lernen, niemand hat die Möglichkeit, sich alle handlungsrelevanten Informationen selbst zu suchen. Erwachsene sollten lernen, auf andere zu hören.)
Ich werde bissig, mir kommen die Tränen, ich möchte etwas zerschlagen. Ich möchte die ganze Welt zerschlagen, eine Bombe werfen, Autofabriken anstecken. Als würde das etwas nützen.
Später werden sie wieder sagen, wer austeilen will, muss auch einstecken können. Ich will gar nicht austeilen. Ich will rational argumentieren, aber es fällt mir so schwer, ruhig zu bleiben, wenn mein Gegenüber stur auf seiner Meinung beharrt. Ich bin dünnhäutig.
Letzte Woche hat mein Psychiater meine Tablettendosis erhöht. „Damit sollten Sie stabiler sein.“ Das ist also die Reaktion darauf, wenn man emotional auf Probleme in der Welt reagiert? Man nimmt mehr Psychopharmaka? Interessante Zeiten, in denen wir leben. Immer dichter zusammen, mit immer mehr Informationen, aber alle leben parallel in ihren Informationsblasen nebeneinander her, ohne den anderen anzuhören. Ohne dass es einen echten Austausch gibt. Nur Reibungen und Stimmungsgewitter, wenn unterschiedliche Temperaturen aufeinanderprallen.
Ich weiß, meine starke Reaktion ist auch für mich nicht gesund. Sie verändert nichts. Niemand wird ihr Verhalten ändern, weil ich sie angeschrien habe. Aber wenn ich ruhig bleiben kann, ist es mir dann nicht fast schon egal? Kann ich ruhig bleiben?
Heute poste ich aus der Deutschen Bahn, auf dem Weg zu meiner Patentochter, die am Sonntag ein Jahr alt wird. Tatsächlich war der Zug zu spät. Zwei Minuten. Vielleicht ist der Nachteil der Bahn gegenüber dem Auto, dass sie minutengenaue Abfahrzeiten hat. Niemand, der mit dem Auto fährt, wird sagen, ich bin exakt 10:37 Uhr bei dir. Vielleicht sollte die Bahn gleich sagen, je nach Verkehrslage und Krankenstand kommen wir zwischen 9:00 Uhr und 9:20 Uhr. Schon wären viel weniger Züge verspätet. Die Busse in Bolivien hatten, als ich 2005 zum Schüleraustausch dort war, gar keine Fahrzeiten. Sie kamen halt, wenn sie kamen, und man freute sich darüber.
Ich wünsche euch ein entspanntes Wochenende. Ich wünsche mir ein entspanntes Wochenende. Und die Welt sollte einfach mehr Antidepressiva nehmen.
Es gibt also Leute, die stolz von ihren Blitzerfotos berichten. Man möchte brechen. 🐙
Alles Liebe und halte durch… VVN
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Menschen überraschen mich immer wieder *rolleyes* Vielen Dank für deinen Kommentar ❤
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