Tagespolitisches · Throwback Thursday

Wie verführt man Menschen?

Menschen wollen verführt, nicht überzeugt werden, behauptet der Text, den ich gerade mit meinen Teilnehmern in einer Deutschstunde gelesen habe (Download unter http://deutschunddeutlich.de/index.php?actualid=25&which_set=37). Die Menschen wollen sich nicht dumm fühlen.

Bedeutet das, man soll sich dümmer geben, als man ist? Ich bin doch auch Mensch, auch ich bin gern die Klügste im Raum. Bin ich dafür verantwortlich, wenn Menschen sich in meiner Gegenwart dumm und dadurch schlecht fühlen? Sie können doch ihren Unmut darüber als Ansporn nehmen, sich weiter zu bilden. Oder einfach akzeptieren, dass sie als dümmere Menschen nicht weniger wert sind als andere, in diesem Falle ich. Nur halt dümmer.

Das ist natürlich überspitzt formuliert. Ich bin nur halb so arrogant, wie ich manchmal wirke.

Aber wenn wir unseren Mitmenschen immer das Gefühl geben, unsere Idee sei eigentlich immer schon die ihre gewesen, wie es in diesem Text vorgeschlagen wird, gewöhnen wir sie nicht gerade daran, nicht selber zu denken?

Das mag gut für mich sein, wenn auf einmal alle meine ach so durchdachte Idee übernehmen. Doch schnell wird der Verführer zum Führer. Und so mancher, der sich für moralisch überlegen hielt, hat schon großen Mist verzapft.

Menschen, die ich mit meinem Wissen konfrontiere, mögen sich dumm und schlecht fühlen. Vielleicht denken sie, zu mehr nicht in der Lage zu sein, und geben auf. Und wahrscheinlich mögen sie mich nicht. Damit muss ich dann leben.

Doch Menschen, denen immer geschmeichelt wird, entwickeln sich nicht weiter. Meinungen, die so geschickt in Geschichten verpackt werden, dass sie gar nicht mehr als Meinung erkennbar sind, sind nicht hinterfragbar und können Menschen ebenso leicht verderben wie veredeln. Zuhören ist zwar eine wirklich gute Idee. Aber wenn jemand Blödsinn redet, sollte man ihn ruhig von seinem hohen Ross herunter holen. Vermutlich ist er nicht glücklich darüber. Aber wenn er den Fehler in seinem Denken nie erkennt, kann er ihn auch nie beheben.

Wir haben schon viel zu viel Verführung in unserem Leben. Unsere Eltern wissen am Besten, was gut für uns ist – erstrecht, wenn sie das mit gezielten Geschenken statt mit Verboten beweisen. Unsere Lehrer sagen uns, was wahr und was falsch ist, und wer es wagt, ihnen zu widersprechen, wird die dunkle Seite der Verführung – die Bestrafung – sicher kennen lernen. Und wenn wir erwachsen sind, erkennen wir vielleicht das Verführungspotenzial der Werbung. Und doch glauben wir ihr, dass wir dringend ein neues Handy brauchen.

Vielleicht fühlen wir uns dumm in der Gegenwart eines brillianten, selber denkenden Menschen. Aber doch nur, weil wir uns haben verdummen lassen von der allgegenwärtigen Verführung, von all den Schmeicheleien und vorgekauten Wissensbrocken.

Und wir rächen uns nicht an diesen Besserwissern, indem wir ihnen nicht mehr zuhören, das merken die doch gar nicht. Lieber sollten wir versuchen, selber etwas besser zu wissen. Die, die uns für dumm verkaufen wollen, wird das sicher überraschen.

(22.07.2016)

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