Ich bin so traurig, ich kann nicht atmen. Ich soll sie unterrichten, aber sie hören mir nicht mal zu. Und immer wieder lass ich mich in Diskussionen verwickeln, über Flüchtlinge und die Fehler der Merkel, die vielleicht so ganz woanders liegen, als sie sie vermuten. Ich höre die Angst hinter ihrer Wut, aber ich kann nicht darauf eingehen. Nur – wenn wir uns gegenseitig anschreien, werden sie mich nie hören. Angeschrien zu werden sind sie gewöhnt. Ich weiß auch nicht …
Ich bin so wütend, ich möchte auch Amoklaufen. Ich würde nicht die Flüchtlinge erschießen. Doch mit dem LKW auf den Weihnachtsmarkt zu fahren, mitten in unsere ach so schöne Wohlfühlgesellschaft, scheint mir gar keine allzu schlechte Idee zu sein. Manchmal jedenfalls. Betrachten wir mal das Symbol hinter dem sinnlosen Mord. Verstehen wir es?
Sie sehnen sich nach Sicherheit und Ordnung von außen, weil sie in sich keine Sicherheit haben, niemals ausbilden konnten, kein Wunder, da wo sie herkommen. Aber wie soll ich sie ihnen geben? Sicherheit ist eine Illusion, geschürt durch gezielte Fehlinformation und ein schön geschnitztes Feindbild.
… und jetzt klinge ich schon wie sie, die gleichen Verschwörungstheorien, „Lügenpresse“, nur die andere Richtung …
Und ich renne mir immer wieder den Kopf daran ein, weil ich so ein verfickter Idealist bin.
Ich renne ja nur gegen Grenzen, in Köpfen und im System, und ändere nichts. Sie sind zu alt, zu festgefahren, und ich zu ungeduldig. Ich sehe keine kleinen Veränderungen und hänge mich an ihren platten Meinungen auf, lasse mich mit sogenannten Argumenten erschlagen. Lasse mich runterziehen auf ihre Wut, anstatt zuzuhören und ihre Angst ernstzunehmen. Predige, anstatt zu unterrichten, und reibe mich wund an mir selbst.
Sie sind zu alt und doch noch so jung, haben noch ihr ganzes Leben vor sich, um sich und andere zu quälen, den Krieg selbst herbeizuführen, vor dem sie mich warnen, um die Welt an sich kaputt zu reiben, damit sie endlich wahrgenommen werden, den Schlag zu provozieren, von dem sie erwarten, dass er sowieso kommt, und doch auch – um zu lernen, um zu ändern, um zu leben. Und jede Begegnung entscheidet, in welche Richtung es gehen wird. Jede Bewegung, über deren Geringfügigkeit ich verzweifle. Jeder Gedanke, der vielleicht in ein paar Jahren erst wieder hervorgeholt wird.
Und deshalb werde ich mich auch morgen wieder an die Front wagen.
(Erstmals veröffentlicht am 02.01.2017)