Schreiben als Selbstfürsorge · Schreibmenschen

Selbstinterview – mit Fragen nach innen

„Und habe ich ein Thema? Literatur. Aber ich schreibe ja nicht über Literatur, ich schreibe Literatur – oder versuche es zumindest. Manchmal schreibe ich auch über das Schreiben von Literatur, nenne euch Übungen, die ihr nachmachen könnt. Und dann wieder poste ich ein altes Gedicht, einfach weil ich es schön finde und hoffe, ihr auch. Aber ein Thema?“

aus meinem Blogbeitrag: Was mach ich hier?

Ich, sag mal …

Heute soll es darum gehen, wie wir uns selbst befragen können. Aber machen wir das nicht andauernd, wenn wir uns entscheiden müssen? Was ist mir wichtiger, jetzt Chips oder später ein flacher Bauch? Tolle Kollegen oder ein hohes Einkommen? Kinder oder Karriere? Wozu sollen wir diese Fragen auch noch aufschreiben?

In dem oben zitierten Blogbeitrag habe ich mich gefragt, über was ich eigentlich schreibe. Ich hatte immer das Gefühl, mein Blog sei einfach ein wildes Sammelsurium von verschiedensten Textsorten zu unterschiedlichsten Themen. Erst beim Verfassen des genannten Beitrages habe ich gemerkt, worum es mir wirklich geht – um das Schreiben (und Lesen) als Selbstfürsorge. Mal sind es Anleitungen, mal Theorie (wie dieser Text), dann wieder Beispiele aus meiner Textpraxis – aber immer geht es darum, dass Schreiben das Leben (jedenfalls mein Leben) besser macht.

Wäre ich durch einen anderen Blog nicht auf die Frage eines übergreifenden Themas gestoßen worden und hätte ich diese Frage nicht schreibend umspielt, hätte ich diese Begründung vielleicht nie gefunden.

Sich Zeit nehmen

Frage und Antwort aufzuschreiben, zwingt uns dazu, eine Pause einzulegen. Das Chipsbeispiel zeigt, dass oft die Gewohnheit über die Handlung entscheidet, bevor die Überlegung eingreifen kann. Wir müssen den lieben langen Tag über so viele Kleinigkeiten entscheiden, dass am Abend keine Kraft und Zeit für weitere Fragen übrigbleibt.

Neurowissenschaftler vermuten, dass unsere Entscheidungskraft wie ein Muskel erschlafft, wenn wir sie überanstrengt haben. In diesen Momenten kommt der berühmte innere Schweinehund zu Vorschein. Zeigt er sich nur gelegentlich, gibt es kein Problem. Doch wird aus der einen spontanen Entscheidung eine Gewohnheit mit potenziellen Auswirkungen auf das ganze Leben, bekommt die Frage viel größere Wichtigkeit.

Was ist mir also – ganz allgemein – wichtiger: Zu essen, worauf ich Lust habe, oder meine Figur? Oder die Gesundheit?

Steh dazu

Losgelöst von der Situation lässt sich diese Frage ein für alle Mal entscheiden (auch wenn Ausnahmen natürlich immer zugelassen werden sollten). Und haben wir uns einmal entschieden, hilft das Aufschreiben dabei, dazu zustehen. Wir können später nachlesen, wie wir uns entschieden haben. Wir können unsere Gründe nachlesen. Haben die Gründe sich geändert, erkennen wir sofort, dass wir die Frage erneut stellen sollten. Doch wenn nicht – eine Entscheidung einmal getroffen zu haben, entlastet das Gehirn. Wir müssen schlicht nicht weiter darüber nachdenken.

Warum sollte ich?

Das Aufschreiben von Frage und Antwort erzwingt nicht nur Zeit, sondern auch die Angabe von Begründungen. Auch wenn „ich mag das halt“ eine nicht zu vernachlässigende Motivation darstellt, reicht sie doch meist nicht sehr weit. Versuchen wir einmal Fragen schriftlich zu beantworten, suchen wir meist automatisch nach weiteren Begründungen.

Vielleicht habt ihr schon mal Pro-Kontra-Listen geschrieben, z.B. bei der Jobsuche? Das ist auch eine Form, sich selbst eine Frage zu stellen. Der Vorteil von Listen ist, dass sie sehr übersichtlich sind. Die Anzahl der Gründe lässt sich direkt vergleichen. Um eine gewisse Gewichtung der Gründe mit aufzunehmen, könntet ihr die wichtigeren Gründe einfach mehrfach (oder größer) schreiben.

Jedoch werden diese Listen oft sehr verkopft abgefasst. Eigentlich schreibt ihr dabei nur, was ihr schon wisst. Auf neue Ideen kommt ihr dabei meist nicht.

Schatzsuche

Schreibt ihr jedoch einen Text oder ein Stichwort-Cluster, bei dem ihr frei assoziativ von einem Punkt zum nächsten über geht, ergeben sich oft neue, kreative Lösungen. Das freie Schreiben ist wie eine Schatzsuche in eurem Unterbewusstsein. Da versteckt sich so viel mehr, als auf den ersten Blick ersichtlich ist.

Euer Unterbewusstsein weiß, warum ihr den Job wechseln wollt, warum ihr euren Opa so vermisst oder euch der Geruch von Essig traurig macht. Ihr müsst euch nur mal die Mühe machen, zuzuhören.

Einen Text statt einer Liste zu schreiben dauert dabei gar nicht unbedingt länger. Der Unterschied ist, dass ihr auch alle Gedanken zwischen den Pro- und Kontragründen notiert. Der Text spiegelt eure ganze Überlegung wider. Und auch die Reihenfolge, in der euch Gründe einfallen, kann eine Gewichtung darstellen.

Fallen euch z.B. zunächst nur Gründe gegen etwas ein, obwohl ihr es eigentlich gerne machen wollt, habt ihr vermutlich Angst davor. Verwendet ihr für die Progründe jedes Mal ein „aber“, habt ihr wohl das Gefühl, euch rechtfertigen zu müssen.

So ergibt die Beantwortung einer Frage gleich schon eine Neue.

Weil ich es wert bin…

Wenn ihr die Übersichtlichkeit einer Pro-Kontra-Liste für eure Entscheidungsfindung braucht, lässt sich der automatisch entstandene Text leicht umformen. Dies könnte zwar wie doppelte Arbeit wirken, doch unsere eigenen Fragen und Entscheidungen sollten uns die doppelte Arbeit durchaus wert sein.

Nur wenn wir unsere Entscheidungen und den Weg dorthin ernst nehmen, können wir mit ihnen auf Dauer zufrieden sein. Endlich wissen wir, dass wir uns wirklich selbst entschieden haben und nicht nur mitlaufen. Und wir wissen auch, wofür wir etwas tun. Mit dieser Voraussetzung lassen sich viel mehr Widerstände aushalten.

Zum ersten Mal angewendet habe ich diese Technik in der Vorbereitung auf ein Vorstellungsgespräch, habe mir die Fragen gestellt, die ich von der Personalabteilung erwartet habe. Und bei der Beantwortung festgestellt, dass ich die Stelle gar nicht wollte.

Heute ist dies meine Art, Tagebuch zu schreiben. Manche Fragen kommen immer wieder – weil sie besonders wichtig sind oder weil meine Antworten immer noch vordergründig bleiben. Andere brauche ich mir endlich nicht mehr zu stellen. Ich weiß, warum ich schreibe. Und was die anderen sagen, ist ganz egal.

… und ihr seid es auch!

Wenn ihr jetzt auch Lust bekommen habt, den interessantesten Menschen – nämlich euch selbst – zu interviewen, versucht euch gern an den folgenden Übungen. Erzählt mir von euren Erfahrungen und empfehlt mich weiter an die, die es wert sind. Und vor allem
lest! schreibt! lebt!

Übungen:

  • Warum mache ich meine Arbeit gerne?
  • Wen will ich unbedingt beeindrucken?
  • Was will ich im kommenden Jahr schaffen?
  • Wem sollte ich dringend danke sagen?
  • Wer geht mir besonders auf die Nerven?
  • Wie will ich eigentlich behandelt werden?

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