
Sie sagen, Veränderung gehöre zum Leben, sei sogar gut. Warum macht sie mir dann solche Angst?
Am Montag hatte ich pünktlich zum Ferienbeginn einen aktuellen Tiefpunkt. So viel Zeit für mich, während meine Frau arbeiten ist, ich kann machen, was ich will. Mal die 2000 Bücher angehen, die darauf warten, gelesen zu werden? An meinem Roman weiter schreiben, ein Bild malen? Da ist auch noch die Decke, die ich gerade stricke, und das Geburtstagsgeschenk für meine Nichte, an dem ich arbeite. Im Garten wartet Unkraut und ein unvollständig aufgebautes Hochbeet, die Küche ist chaotisch, im Kühlschrank abgelaufene Lebensmittel, den Kleiderschrank wollte ich auch schon lange aufräumen. Dabei aber nicht vergessen, dass ich trotz Ferien Physiotherapie habe. Nach meinem Handgelenksbruch im Dezember ist noch nicht wieder alles, wie es soll.
Als ich an diesem Punkt der Überlegungen angekommen war, war mein Herz schon am Rasen und mir blieb die Luft weg. Bis zur Physiotherapie waren es nur noch anderthalb Stunden, für den Weg brauche ich fast eine halbe Stunde. Und ich musste raus. All diese Möglichkeiten setzen mich unter Druck.
Wie so oft in dieser Stimmung eilte ich in meinen Lieblingsladen, der faire Bekleidung mit Kaffee kombiniert – und alles war neu. Okay, nein, bei weitem nicht alles. Die Bekleidungsseite des Ladens war wie immer, die Cafétheke sehr ähnlich. Aber an den neuen Tischen saßen neue Gäste, was ich nicht gewohnt bin. Ich bin so oft hier, dass ich alle Gäste kenne. Hinter der Theke standen ebenfalls fremde Menschen. Der Kaffeebereich wurde ausgegliedert, die Ladenbesitzerin hat sich Hilfe dazu geholt. Völlig legitim, natürlich. Ich gönne ihr auch von Herzen, dass es noch mehr Gäste gibt als mich. Aber.
Ich habe meinen Kaffee bestellt – der gleiche wie immer – und noch scherzhaft geschimpft, dass ich keine Veränderungen mag. Und dann saß ich mit meinem Kaffee in einer versteckten Ecke und habe erstmal geweint, weil mein Sicherheitsort sich verändert hat.
Natürlich sind Veränderungen notwendig und nur manche sind zum schlechteren. Aber um Veränderungen ertragen zu können, brauchen wir viele Dinge, die sich nicht ändern, an denen wir uns festhalten können. Gesunde Menschen tragen diese Sicherheit wohl in sich. Aber ich habe das Gefühl, der Anteil gesunder Menschen wird immer geringer. Das macht Veränderungen so schwer.
Und dabei leben wir doch nach wie vor in einem der besten Länder der Erde. Natürlich ist nicht alles eitel Sonnenschein. Aber es geht so viel schlechter. Wenn ich überlege, was meine Medikamente mich schon gekostet hätten, wenn ich nicht krankenversichert wäre. Wie viel mehr Druck die Arbeitswelt ausüben würde, wenn es kein Krankengeld gäbe, keine Sozialhilfe.
Warum habe ich solche Angst, während anderswo Krieg herrscht?
Da ist ein Krieg in mir drin, den niemand sieht. Hirnzellen bekämpfen einander und sterben und ich bemerke nur einen Bruchteil davon. Müdigkeit ist die Folge, überlaufende Tränendrüsen, häufige Infektionen. Wer gibt meinem angegriffenen Verstand Asyl?