Schreiben als Selbstfürsorge · Schreibmenschen

Gefühle ausschreiben – statt immer zu schlucken

In mir ist ein Schmerz, der viel zu groß ist, um darüber sprechen zu können. Ich kann nur schreien. Oder schweigen. Wer hört das Klingen von Tränen im Wasserglas?

Allzu oft scheint unsere Alltagswelt gefühlsamputiert zu sein. Die Verkäuferin im Supermarkt fragt müde lächelnd, ob alles in Ordnung war, die Arbeitskollegen fragen, wie es dir geht, und wollen nur „gut“ hören. Und abends ist dein Partner sogar zu müde zum Streiten.

Mitten ins Herz

Das Wetter ist grau. Wohin mit der Traurigkeit in unseren Blicken und der Wut im Bauch, die viel zu schnell als Novemberdepression abgetan werden?

Wir alle wissen, dass es nicht gesund ist, seine Gefühle in sich einzuschließen. Doch sie rauszulassen ist nicht immer so einfach. Der Chef sollte nicht wissen, wie genervt wir von ihm sind. Den Arbeitskollegen spontan zu küssen, stößt sicher auf Irritation. Auch Gefühlsausbrüche im Supermarkt gehören nicht zum gewohnten Alltag.

Gefühlsbeladen

Selbst in den intimsten Beziehungen mag es sinnvoll sein, das ein oder andere Gefühl zu verschweigen. Schon allein um den ohnehin schon belasteten Partner vor der eigenen schlechten Laune zu schützen.

Manchmal liegt es auch an uns, dass wir bestimmte Gefühle nicht gut zeigen können. Um Verzeihung zu bitten ist schwer und auch Danke zu sagen will geübt sein. Oder ist da einfach eine gewisse Traurigkeit in uns drin, die wir niemandem erzählen können?

Immer wieder sagen Freunde und Verwandte, wir sollten „es“ einfach rauslassen. Und wenn sie dann die Intensität unserer Gefühle erkennen, wissen sie nicht mehr, was sie tun sollen.

Schreib es raus!

Papier ist bekanntlich geduldig und Textdateien könnt ihr nicht überfordern. Sie werden uns auch nichts übelnehmen. Dem Stift und der Tastatur können wir uns unbegrenzt anvertrauen.

Vielleicht denkt ihr jetzt, das alles wissen wir doch schon aus dem Beitrag über das Tagebuch. Aber hier ist der Fokus ein anderer. Hier geht es um den Inhalt, nicht die Form.

Regellos

Sobald ihr versucht, euren Gefühlsausbruch in eine bestimmte Form zu gießen – z.B. einen einigermaßen nachvollziehbaren, auf ein äußeres Ereignis bezogenen Tagebucheintrag – richtet ihr eure Aufmerksamkeit auf etwas, das nicht das Gefühl ist.

Guckt einfach, was kommt! Vielleicht sind es einzelne Worte, vielleicht ein Gedicht, vielleicht schreibt ihr ganz groß und dick, vielleicht winzig klein. Vielleicht sind es auch nur Satzzeichen. Euer Gefühl weiß schon, was es braucht.

Vielleicht wiederholt ihr immer wieder den gleichen Satz, vielleicht schreibt ihr euch viele Seiten von der Seele. Hört in euch hinein und schreibt, was kommt.

Notweniger Schmerz …

Wenn ihr euch nicht gedanklich zensiert, wenn ihr lange genug wirklich frei schreibt, werdet ihr früher oder später an einen Punkt kommen, an dem es wehtut. Und dann schreibt weiter! Ihr werdet daran nicht sterben. Erst wenn es wehtut, habt ihr etwas gelöst.

Am vergangenen Wochenende war ich mal wieder im Schreibhain, deshalb kommt dieser Beitrag auch so spät (sorry!), und im automatischen Schreiben habe ich herausgefunden, was mich mit meiner Romanfigur verbindet. Ich war geschockt. Es hat weh getan. Ich hatte keine Ahnung, dass ich so nachtragend sein kann. Ich habe es akzeptiert.

Und seit Sonntag gut 10.000 Worte geschrieben, neben der Erwerbsarbeit. Mehr als in allen Wochen davor zusammen.

… und ein Stückchen Schokolade

Aber natürlich solltet ihr nicht nur die unangenehmen Gefühle auf diese Weise ausleben. Tut euch etwas Gutes und kostet eure Kraft und euer Glück voll aus. Es gibt genug dunkle Momente, da sollten wir die Schokomomente wenigstens voll auskosten.

In diesem Sinne: habt euch lieb, auch im November, und
lest! schreibt! lebt!

Übungen:

  • Versucht, die Grundgefühle Wut, Trauer, Freude, Ekel und Angst allein durch Satzzeichen auszudrücken.
  • Legt ein Gefühlsnotizbuch an, in das ihr jederzeit euren persönlichen Gefühlscode eintragen könnt.
  • Achtet eine Woche lang darauf, welches Gefühl ihr am häufigsten ausdrückt.
  • Schreibt alle Dinge auf, für die ihr dankbar seid.
  • Schreibt jeden Abend 5 Minuten im automatischen Schreiben, mit welchem Gefühl ihr ins Bett geht.

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