Tagespolitisches · Workshops Kreatives Schreiben

Einfach mal raus damit

Leben ist scheiße. Klingt radikal, muss aber mal gesagt werden.

Wenn ich mal wieder einen schlechten Tag erwischt habe, was mir immer wieder passiert, besonders in letzter Zeit, frage ich mich, warum sich eigentlich nicht viel mehr Menschen umbringen. Seit wir Gott abgeschafft haben und auch an die Wissenschaft nicht mehr glauben können, seit wir gesehen haben und täglich wieder sehen, was Menschen anderen Menschen anzutun in der Lage sind, und uns selbst nicht wirklich davon ausnehmen können, denn wer von uns nimmt sich schon die Zeit, wirklich immer im Detail nachzuprüfen, wo unsere Kleidung und unsere Nahrung herkommt, seit wir am eigenen Leib erfahren haben, dass Menschen eigentlich alles überleben können, stellt sich immer häufiger die Frage – wozu sollten sie überleben? Wenn nichts so wichtig ist, dass die Welt wenigstens für einen kurzen Moment anhält, wenn die größten humanitären Katastrophen und die banalsten Betrugsfälle im Sport das gleiche Gefühl hervorrufen und wir im Zweifelsfall einfach den Medien nicht mehr glauben, wenn jeder Schmerz und jedes Glück am nächsten Morgen schon ausgelöscht ist, denn das Leben muss ja weitergehen – zu welchem Zweck sollen wir dann noch am Leben sein? Sind wir es überhaupt, oder haben wir nur vergessen, umzufallen?

Aber da auch ich, obwohl ich so viel darüber nachgedacht habe, immer noch nicht zum Suizid bereit bin, scheint es ja doch irgendetwas zu geben, auf das es sich zu hoffen lohnt. Vielleicht nichts Großes, nichts Weltumspannendes. Ich glaube zwar nicht, dass alles immer schlechter wird, aber doch auch nicht, dass irgendetwas wirklich besser würde. Im Großen und Ganzen bleibt doch alles, wie es ist, was vielleicht sogar notwendig ist. Schließlich ist ewiger Sonnenschein doch auf die Dauer ziemlich langweilig und Weltfrieden wahrscheinlich gar nicht realisierbar.

Aber reicht das kleine, private Glück, um uns einen Daseinszweck zu liefern? Auch die allerbesten Eltern können ihre Kinder nicht vor allem schützen, auch die glücklichsten Kinder ziehen irgendwann aus und beginnen ihr eigenes Leben, auch der herrlichste Wohlstand ist vergänglich und scheint doch niemals zu genügen.

Was machen wir also mit der Erkenntnis, dass das Leben im Großen und Ganzen scheiße ist und wir dennoch nicht damit aufhören wollen? Eine Lösung, die vielleicht nicht für alle, aber doch für viele Menschen gilt, ist: Kunst! Wir schaffen uns Welten als Zufluchtsort, die vielleicht gar nicht besser, häufig sogar ziemlich grausam sind, aber – und das ist wesentlich – kontrollierbar, die über das Private hinausgehen, auch wenn sie nicht die Welt retten werden, die vielleicht unvollständig und unverständlich wie die wirkliche Welt sind, aber doch auch ganz unser eigen.

Und – was vielleicht das schönste daran ist – wenn wir mal wieder einen besonders schlechten Tag erwischt haben, können wir alle unsere Welten in Schutt und Asche legen, ohne wirkliche Konsequenz.

In diesem Sinne: lest! schreibt! lebt!

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