Was braucht ihr, um den Schreibweg zu euch selbst anzutreten?
Silke Heimes, „Schreiben als Selbstcoaching“
„1. Die Entscheidung, etwas Neues auszuprobieren.
2. Den Mut und die Neugier, sich darauf einzulassen.
3. Den Willen und die Disziplin, eine Weile zu experimentieren.
4. Die Geduld, auf bestimmte Dinge und Erkenntnisse zu warten.
5. Respekt und Wertschätzung sich selbst gegenüber.
6. Die Erlaubnis, sich spielerisch auf Entdeckungsreise zu begeben.
7. Das Abstandnehmen von Ihrem Wissen und Ihrer Genialität.“
Wenn ihr euch in einer Situation befindet, in der ihr mit ein wenig Selbstfürsorge allein nicht weiterkommt, kann es sich für euch anbieten, eine Schreibtherapie zu versuchen. Aber Vorsicht! Nicht alles, was ihr im Internet dazu findet, entspricht den Maßstäben einer Therapie, und wie jede Therapie kann auch die Schreibtherapie Nebenwirkungen bzw. unerwünschte Folgen haben.
Der Begriff der Schreibtherapie ist nicht geschützt und nicht trennscharf von kreativem und biografischem Schreiben unterschieden. Zum Beispiel könnt ihr Übungen finden, die ihr über einen längeren Zeitraum allein zu Hause machen könnt. Und auch diese Übungen haben sicherlich einen Wert. Doch alles, was ihr ohne Begleitung eines ausgebildeten Therapeuten macht, sollte meines Erachtens unter den Begriff kreatives oder expressives Schreiben gebracht werden.
Hilfe annehmen
Im Schreiben nehmen wir immer eine distanzierte Position zu uns selber ein. Oft können wir dadurch schon Lösungen erkennen, so wie wir die Probleme anderer oft besser lösen können als unsere eigenen. Doch nicht immer reicht diese Art der Distanz. In manchen Fällen brauchen wir auch die Perspektive eines Außenstehenden.
Die Schreibtherapie oder Poesietherapie, wie sie in Deutschland meist genannt wird, kann diese Hilfe bieten.
Durch das freie, assoziative Schreiben können – wie im Sprechen – unterdrückte Gefühle und Glaubenssätze an die Oberfläche gebracht werden. Sensible Themen können jedoch im Umweg über den Text oft einfacher besprochen werden, der Text kann eine dritte Position im Gespräch zwischen Patient und Therapeut einnehmen.
Wissenschaftlich belegt
Trotz zahlreicher wissenschaftlicher Belege der Wirksamkeit von Poesietherapie ist diese von den Krankenkassen als alleinige Therapie nicht anerkannt, sie findet sich also zumeist im Verbund mit anderen Therapieformen, vor allem im stationären Bereich.
Seid ihr bereit und in der Lage selbst für eine Schreibtherapie zu zahlen, finden sich zwar einige Möglichkeiten – doch da sich prinzipiell jeder Schreibtherapeut nennen kann, rate ich zur Vorsicht. Achtet auf eine psychotherapeutische Grundausbildung. Zwar kann auch das expressive Schreiben in Schreibgruppen oder allein mit aufmerksamen, vielleicht philosophisch oder literarisch vorgebildeten Personen euch sehr viel bringen. Doch sollte es sich vielleicht nicht Therapie nennen …
(Eine sehr informative, knappe Beschreibung der Schreibtherapie und ihrer Anwendungsfelder findet ihr hier.)
Mein eigener Therapeut
Natürlich spricht nichts dagegen, (selbst)fürsorgliches Schreiben mit nicht therapeutisch ausgebildeten Menschen zu praktizieren. Ich selbst unterrichte regelmäßig kreatives Schreiben in einer Einrichtung für medizinische und berufliche Rehabilitation psychisch Kranker und bin (noch) kein Therapeut. Dennoch ist die Bearbeitung von Traumata eine heikle Aufgabe. Lasst eure Wunden nur von Menschen verarzten, denen ihr vertraut. (Neben einer entsprechenden Ausbildung zählt dazu natürlich auch persönliches Vertrauen und eine gute Beziehung.)
Und auch ihr selbst könnt euch ein „Therapeut“ sein (auch wenn ich ein Problem damit habe, es so zu nennen). Ihr könnt euch selbst sehr viel Gutes tun mit dem Schreiben, wie ich es in den vergangenen Beiträgen schon geschildert habe. Egal ob kreatives, biografisches, expressives, therapeutisches Schreiben, egal ob allein, mit einem Therapeuten oder Vertrauten oder einer Gruppe – schreiben kann euch helfen, Ereignisse zu verarbeiten, eure Fantasie zu stärken und Selbstwirksamkeit zu erfahren.
Dankbarkeitstagebuch
Dabei ist es gar nicht notwendig, sich immer in die unangenehmsten Situationen zu schreiben – es kann im Gegenteil sogar schädlich sein, auf Dauer an schlimmen Erinnerungen zu kleben. Schreibt einmal jeden Tag fünf Dinge auf, die euch glücklich gemacht haben, schreibt auf, was ihr wirklich wollt, oder was für ein Mensch ihr gern wärt – durch die regelmäßige Beschäftigung mit positiven Dingen, verändert sich auch euer Gehirn.
Habt ihr mal gehört, dass alte Ehepaare sich immer ähnlicher sehen? Das liegt daran, dass Stimmungen ansteckend sind. Wenn Menschen viel Zeit miteinander verbringen, sind sie auch sehr oft ähnlicher Stimmung. Und das zeigt sich über die Mimik, die sich im Lauf der Jahre in die Falten einprägt. Aber ihr braucht keinen fröhlichen Partner, um euch mit Fröhlichkeit anzustecken. Schreibt schöne Gedanken auf – und ihr werdet mehr schöne Gedanken haben.
Raus aus dem Kopf
Natürlich müssen auch negative Gedanken aufgeschrieben werden. Schon alleine, damit sie aus dem Kopf raus sind. Ähnlich wie eine Einkaufsliste – wenn ihr es aufgeschrieben habt, müsst ihr nicht mehr daran denken. Es ist ja aufgeschrieben.
Wichtig bei all diesen Formen des therapeutischen oder pflegenden Schreibens ist, dass es um den Schreibprozess geht, nicht um das Ergebnis. Ob ihr eure Gedichte in schöne Bücher schreibt und ins Regal stellt (ich mache das seit der Teenagerzeit) oder alles verbrennt – ihr schreibt zunächst einmal für euch, nicht um Schriftsteller zu werden, (das wäre ein anderer Blogbeitrag). Also kümmert euch weder um Satzbau noch um einen schönen Stil, all das ist egal. Schreibt, wie euch der Schnabel gewachsen ist, und lasst den Perfektionismus los. Nur das kann euch heilen.
Therapiebegleitend
Eine Schreibtherapie (vor allem ambulant) ist schwer zu finden und/oder teuer. Doch auch wenn ihr eine „normale“ Gesprächstherapie macht, kann das Schreiben euch helfen.
Ich selbst habe z.B., als ich in Therapie war, Therapietagebuch geführt. Nach jeder Sitzung habe ich aufgeschrieben, über was wir gesprochen haben, schon alleine um es nicht zu vergessen. Und vor der nächsten habe ich notiert, worüber ich sprechen möchte. Einmal habe ich auch einen Text von mir in der Therapiesitzung besprochen.
Sprecht einfach mit euren Therapeuten darüber.
Schreiben in der Reha
Und was mache ich jetzt mit meinen „Schreibschülern“ in der Reha? Ich habe doch gerade geschrieben, dass ich kein Therapeut bin und ihr bei der Auswahl eines Schreibtherapeuten vorsichtig sein sollt.
Nun, ich mache selten wirklich therapeutische Schreibübungen, auch wenn ich viele kenne. Die Teilnehmer meines Schreibkurses haben andere Therapieformen, um sich besser kennenzulernen oder ihre Lebensziele zu finden. Bei mir können sie etwas ganz anderes – sich selbst vergessen. Auch das ist wichtig. Schreiben soll natürlich keine dauerhafte Flucht vor dem Leben sein, aber hin und wieder, warum nicht?
Und darum soll es uns in den nächsten Wochen gehen.
Bis dahin, ein paar winterliche Tage, trinkt viel heißen Tee und
lest! schreibt! lebt!
Übungen
- Erstelle ein Mind-Map zu deinem aktuell größten Problem. Wie könntest du es lösen? Erprobe alle Möglichkeiten in einer Geschichte.
- Was hättest du gerne getan? Was hättest du gerne unterlassen? Schreibe ein Listengedicht und vernichte es. Die Vergangenheit lässt sich nicht ändern.
- Gibt es einen roten Faden in deinem Leben? Hänge kleine Karten mit bisherigen Ereignissen daran, die dazu passen. Wie könnte/ sollte es weiter gehen?
Literatur
- Silke Heimes, Schreiben als Selbstcoaching
- Silke Heimes, Schreib dich gesund
- http://schreiben-wirkt.de
- http://schreibtherapie.me
- http://schreibtherapie-und-coaching.de
- http://schreibenbefluegelt.wordpress.com