„Und, was wolltest du früher immer werden?“ ist eine beliebte Frage auf Firmenweihnachtsfeiern und zweiten Dates. Die noch unverfälschten Kindheitsberufswünsche scheinen einem viel über einen Menschen zu verraten. Mich dagegen bringt diese Frage immer ziemlich in die Bredouille.
Es ist nicht, dass ich nicht geworden bin, was ich als Kind werden wollte. Das ist ja gewissermaßen die Grundvoraussetzung für dieses Spiel. Und es ist auch nicht, dass ich gar nichts geworden wäre. Ich bin alles Mögliche geworden und erwecke mit meinem kunterbunten Lebenslauf immer wieder Erstaunen. „Du hast als Kutschtaxifahrerin gearbeitet?“ „Du hast einen Abschluss in Philosophie?“ „Du hast im Nebenfach Neurowissenschaften studiert?“ „Du hast Erfahrungen im Kellnern und im Backen – im Kuchen backen etwa?“ „Wie geil!“
Doch …
Wenn die Frage nach den kindlichen Berufswünschen aufkommt, nehm ich immer schnell Reißaus, muss dringend auf die Toilette, zünde mir eine Zigarette an oder wende mich einfach demonstrativ einem anderen Gespräch zu. Die ein oder andere Frau habe ich so schon zurückgewiesen, bevor ich sie überhaupt kennen gelernt hatte, und meine Kollegen halten mich ohne Ausnahme für unsozial und schwierig. Aber das war nicht zu vermeiden gewesen.
Das liegt nicht daran, dass ich total peinliche Berufswünsche gehabt hätte. Ich wollte nicht Prinzessin werden oder eine Talkshow moderieren oder Ken heiraten. Ich hatte schon einen tatsächlich existierenden Beruf vor Augen, der von vielen Menschen geschätzt wird, besonders schätzen viele Menschen, jemanden dieses Berufstandes zu kennen. Auch wenn niemand sich wünscht, dass seine eigenen Kinder solche Ideen ernsthaft in Erwägung ziehen.
Aber …
Aussprechen möchte ich es doch nicht. Es ist so naiv, so verträumt, und es klingt so erfunden. Niemand glaubt mir, dass ich diesen Berufswunsch wirklich schon mit acht Jahren hatte, auch wenn meine Mutter gerne sagt, dass sich erste Hinweise sogar schon früher gezeigt hätten.
„Was wolltest du früher immer werden?“ Andere Menschen können da so lustige Dinge wie „Feuerwehrmann“ (als Frau) oder „Fernfahrer“ (ohne Führerschein) oder „Weltherrscher“ sagen. Aber ich?
„Schriftsteller.“
„Nein, im Ernst jetzt.“
„Ja, im Ernst. Ich wollte immer Schriftsteller werden.“
„Das willst du jetzt vielleicht. Aber ich meine als Kind.“
„Ich wollte immer Schriftsteller werden, seit ich weiß, dass es diesen Beruf gibt. So mit sieben oder acht etwa, denke ich. Alles, was ich sonst gearbeitet und gelernt habe, war nur zum Geldverdienen, weil mir immer alle Erwachsenen gesagt haben, dass Schriftsteller kein Beruf sei.“
Und damit ist die lustige Partystimmung in der Regel dahin. Es klingt zu ernst, zu weise und zu zukunftsweisend. Gleichzeitig zu romantisch und zu deprimierend, weil die anderen zum ersten Mal mit dem konfrontiert sind, was man wohl Berufung nennt, sich schlecht fühlen, weil sie solch eine Leidenschaft nie gekannt haben und nur einen „ganz normalen“ Beruf angestrebt, und sich vor lauter Neid heimlich darüber freuen, dass es mir nie wirklich gelungen ist, diesen Traum umzusetzen.
Und irgendwie bin ich ja auch Schriftstellerin geworden. Ich schreibe. Ich verdiene damit zwar kein Geld, aber ich schreibe. Und ich werde weiter schreiben und mir meine Zeit nicht vollständig von einem „normalen“ Beruf rauben lassen.
Alte Liebe rostet eben doch nicht und wenn sie noch so vielen Schwierigkeiten ausgesetzt ist.